GNOSIS


3. Teil:

Utopien








Inhalt :

Utopien im Überflug

Allerletzte These zu Feuerbach

Chaos und Ordnung


- sämtliche rechte bei station23 -










UTOPIEN IM ÜBERFLUG



Die Wunschvorstellung einer idealen Gesellschaft ist wahrscheinlich so alt wie die menschliche Zivilisation selbst.

Natürlich weichen die Wünsche der verschiedenen Menschen genauso stark von einander ab, wie die Menschen selbst sich von einander unterscheiden.
Was nun im einzelnen als Utopie zu gelten hat, und was nicht oder nicht mehr oder noch nicht, mag ebenso umstritten sein. Hier seien lediglich die berühmtesten Versionen bewußt gestalteter idealer Gesellschaften aufgeführt, und zwar unabhängig davon, ob sie über den Status des reinen Wunsches jemals hinausgelangt sind, und falls, unabhängig davon, ob der Versuch gelungen ist oder nicht.
Die Liste kann selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben.
Festhalten, und los geht's:


Paradies, mythischer idealer Ort vor dem Beginn der Menschheitsgeschichte, entweder auf der Erde gelegen oder überirdisch, vielfältige Versionen in allen Überlieferungen, aber auch prophezeiter nach-endzeitlicher Zustand der Welt in vielen Religionen, manchmal, aber nicht immer, identisch mit dem Wohnort Gottes bzw. der Götter, oft bedroht durch Gegengötter (Krieg im Himmel). Und natürlich auch verheißener Aufenthaltsort nach dem Tod für die Braven (meist in Gottesnähe, während die weniger Braven zur Konkurrenz in die Hölle kommen).

Das goldene Zeitalter, teils identisch mit dem Paradies, aber auch als ideale Urgesellschaft am Beginn der Menschheitsgeschichte oder einer einzelnen Kultur. In aller Regel von weiteren Phasen in absteigender Reihe gefolgt: dem silbernen, dem kupfernen oder bronzenen, und dem heutigen eisernen Zeitalter, das zwangsläufig in einem Kataklysmus endet. Danach beginnt ein neuer Geschichtszyklus mit einem neuen goldenen Zeitalter.

Matriarchat, ?-zigtausend bis vielleicht etwa 6500 v.0, angeblich einstmals weltweit herrschende Gesellschaftsform (vor dem heutigen Patriarchat, zu dem es die totale Alternative gewesen sein soll), Hauptmerkmal: Kult der Großen Mutter, von den Feministen rückwärts in die Geschichte projizierte Utopie, mit dem Goldenen Zeitalter gleichgesetzt. Sicher ist, daß es archaische Gesellschaften gegeben hat, die wir uns nicht vorstellen können. Genauso sicher ist, daß es andersartige Gesellschaften auch heute gibt, manche davon noch nicht einmal so weit weg.

Atlantis, nach Platon uralte, einstmals ideale Kultur auf einer Insel im Atlantik, die innerhalb eines Tages im Meer versank. Die oligarchische Gesellschaft auf der reichen Insel war ursprünglich perfekt organisiert, verfiel nach einer langen Blütezeit jedoch in Dekadenz und zog deswegen den Zorn des Zeus auf sich, der sie so bestrafte. Atlantis ist an -zig Orten zwischen Mittelmeer und Karibik gesucht worden. (Sogar in der Nordsee!) Gefunden wurde nie eine konkrete Spur von ihm. Es ist unwichtig, ob das Atlantis unserer Vorstellung jemals existiert hat, denn es dürfte sicher sein, daß es lange vor den Sumerern schon andere Hochkulturen auf der Erde gegeben hat, die noch nicht entdeckt wurden. Falls diese Kulturen am Ende der Eiszeit auf Inseln oder an den Küsten lagen, sind ihre Spuren, als die Gletscher abschmolzen und der Wasserspiegel anstieg, sprichwörtlich untergegangen, nämlich im Meer verschwunden, und liegen heute wohl mehrere -zig Meter unter der Meeresoberfläche, erodiert und von Sedimenten bedeckt, so daß sie wohl niemals gefunden werden. Neuere Atlantisforscher vertreten die Theorie eines Planetoideneinschlags im Atlantik vor 10.500 Jahren, bei dem die Insel innerhalb weniger Augenblicke versank und der die Ursache für das Ende der Eiszeit und einer (damals tatsächlich stattgefundenen) Erdachsenverlagerung und Klimazonenverschiebung war. Platons Atlantis-Bericht im Timaios und im Kritias, der an das Goldene Zeitalter erinnert, schließt unmittelbar an seine eigene Staatsutopie, die Politeia, an. In ihm wird übrigens auch ein Kontinent jenseits des Atlantiks erwähnt (Amerika).

Sumer, viertes Jahrtausend v.0, früheste bekannte Hoch-Zivilisation der Welt, in welcher der Kalender, die Schrift und das Geld erfunden wurden. Das fruchtbare Zweistromland wurde erst spät besiedelt, die frühesten archäologischen Funde werden auf 8000 v.0 datiert. Es muß für eine sehr lange Zeit ziemlich friedlich gewesen sein. Sumer ist das Vorbild für den biblischen Garten Eden (siehe Paradies). Natürlich hat es in der Geschichte der Menschheit schon vor den Sumeren in den gemäßigten Klimazonen immer wieder Orte mit idealen Lebensbedingungen gegeben, die eine akzeptable Gesellschaftsform ermöglichten. Wir wissen nur nichts von ihnen. (siehe oben Atlantis)

Einsiedler und Asketen, mindestens 2000 v.0, wahrscheinlich erheblich älter, früheste Zeugnisse aus Asien, Zivilisationsflüchtlinge, die das private Paradies verwirklichen, die ideale Gesellschaft mit sich allein, hervorragend geeignet auch für spirituelle Erfahrungen. Als die ersten Einsiedler beginnen, Schüler anzunehmen, entstehen die ersten Mönchsgemeinschaften.

Kreta, etwa 2600 bis 1500 v.0, jahrhundertelang vorherrschende Kultur und See(handels)macht im Mittelmeer, ist über 1000 Jahre lang in keinen einzigen Krieg verwickelt, besitzt keine Kriegsflotte, kein Heer und keine Verteidigungsanlagen. Frauen nehmen eine bevorzugte Stellung in der Gesellschaft ein. Das klassische Kreta ging ca. 1500 v.0 durch die Explosion des Vulkans Santorin unter, als die Insel von einer vielleicht sechzig Meter hohen Flutwelle überspült wurde. In der Spätzeit, ab etwa 1400 v.0, begannen einwandernde Achaier die übriggebliebenen minoischen Ureinwohner zu verdrängen, 1425 gab es einen erfolglosen Aufstand der Kreter gegen ihre neuen Herren. Die Erinnerung an das alte Kreta schwingt wohl auch in Platons Atlantis-Erzählung nach.

Das gelobte Land, etwa 1200 v.0, Moses' Verheißung an das Volk Israel (angeblich Beschluß Gottes), nach dem Auszug aus Ägypten und vierzig Jahren des Umherirrens durch die Wüsten des vorderen Orients wurde schließlich Palästina zum gelobten Land erklärt. Leider war Palästina schon bewohnt, von den Philistern, den Vorfahren der heutigen Palästinensern (Philister ist die alte sprachliche Form für Palästinenser). Das Problem, ob die Palästinenser im Recht sind oder der Gott des Moses, ist bis heute nicht geklärt, bzw. die Klärung dieser Frage wird systematisch umgangen.

Die Demokratie im klassischen Griechenland, „Volksherrschaft“, ca. 600 v.0, eine verblüffend "moderne" Staatsform (mit Parlament) im Zeitalter der weltweiten ur-feudalen Barbarengesellschaften, hatte allerdings - wie kann es auch anders sein? - dennoch einen kleinen Schönheitsfehler: nur freie Bürger hatte das Rederecht und das Wahlrecht, Frauen gehörten nicht dazu, und die Sklaven eh nicht. - Wir wagen an dieser Stelle zu vermuten, daß andere Gesellschaften wie die der sog. Germanen oder die der sog. Indianer nach diesem Maßstab ebenfalls Demokratien waren, und dieses möglicherweise schon bedeutend länger als die Griechen.

Lao-Tse, China, 6. Jahrhundert v.0, der Begründer des Taoismus, genauer dessen Entdecker, hinterläßt im seinem Buch Tao-Te-King noch kurz vor seinem spurlosen Verschwinden seinen grandiosen minimalistischen Entwurf des idealen Menschen und der idealen Gesellschaft nach Maßgabe der Natur in ihrem stetig fließenden Wandel. Die Taoisten wurden wegen ihrer grundsätzlichen Kultur- und Gesellschaftskritik immer wieder von allen möglichen, vor allem staatlichen Seiten verfolgt. Es gab im Verlauf der Geschichte ganz unterschiedliche Vertreter des Taoismus von radikalen Zivilisationsgegnern, die nicht nur die Kleidung, sondern sogar die Sprache ablehnten, bis zu papstähnlichen Figuren, die ihre Mitmenschen mittels eines autoritären Priesterapparates tyrannisierten und zum Teil sogar grausam malträtierten.

Konfuzius, Schüler des Lao-Tse, verdreht dessen Lehre ins Gegenteil einer idealen, streng geordneten Gesellschaftshierarchie mit starren Regeln. Diese "Utopie" wurde von den Herrschern des fernen Orients natürlich sofort eingeführt und lebt dort bis heute ungebremst weiter, unabhängig von der jeweils herrschenden Spezialideologie genauso im japanisch/kaiserlichen Tennoismus wie im chinesisch/kommunistischen Maoismus. (Gleichwohl verdanken wir Konfuzius auch die Überlieferung wertvoller alter taoistischer Werke, wie zum Beispiel dem I-Ging.)

Buddha, „der Erwachte“, Nordindien, 6. Jahrhundert v.0, entwickelt die Philosophie seiner Zeit (vor allem die Lehre der Upanischaden) konsequent zuende und entdeckt das innere, psychologische Paradies. Grundlage des Buddhismus ist die Feststellung, daß die Welt, die wir wahrnehmen, nicht die wirkliche Welt ist. Buddha verkündet die Vier Edlen Wahrheiten vom Leiden, von der Entstehung des Leidens, von der Aufhebung des Leidens und vom Weg zur Aufhebung des Leidens, dem Achtteiligen Pfad, in dessen Zentrum die Meditation steht und der zum Nirvana führt. Im sog. Mahayana-Buddhismus verzichtet der Arhat, der Erleuchtete, aus Mitleid für die Lebewesen der Welt auf den Eingang ins Nirvana und damit auf die volle Buddhaschaft und wird zum bzw. bleibt ein Bodhisattva, der für das Heil der Wesen und der ganzen Welt arbeitet. Die Hauptbotschaft des Buddhismus lautet, daß jeder Mensch in der Lage ist, sein diesseitiges wie jenseitiges Leben selbst zu bestimmen, wenn er die richtige „Technik“ beherrscht. Von Buddha sind zahllose Sutras (Lehrreden) überliefert. Als Einstieg empfehlen sich das Mahasatipatthana-Sutra und das Mahaparanibbana-Sutra, beide aus der Längeren Sammlung im Suttapitaka des Pali-Kanon.

Antisthenes, Griechenland, 5. Jahrhundert, der Stifter der kynischen Philosophie predigt Bedürfnislosigkeit (Autarkie) und Charakterstärke, fordert die Rückkehr zur Einfachkeit der Natur und lehnt den herkömmlichen Staat und die herkömmliche Religion ab: der Weise ist Weltbürger. Der berühmteste Vertreter der Kyniker dürfte wohl Diogenes von Sinope in Kleinasien sein, der angeblich in einer Tonne lebte, äußerste Bedürfnislosigkeit zur Pflicht machte, die Gemeinsamkeit der Frauen und Kinder forderte und alle Sittengesetze und überhaupt die ganze Kultur mißachtete. Alexander der Große soll ihn einst aufgesucht und versprochen haben, ihm einen Wunsch zu erfüllen. Was wohl der Korruptions-Test war. Daraufhin soll Diogenes aus seiner Tonne heraus gesagt haben: "Geh (mir) aus der Sonne." Was wohl doppeldeutig war, Alexander aber nicht begriff (denn er ließ ihn am Leben). Unser Wort Zyniker leitet sich von den Kynikern ab.

Platon, Griechenland, entwickelt im 4. Jahrhundert v.0 in seinem Werk "Der Staat" eine genauestens geordnete Gesellschaft in drei Klassen, in der die Bildung eine zentrale Rolle spielt. Die damaligen Herrscher erlauben ihm, seine Theorie praktisch zu erproben, der Versuchsstaat auf Sizilien scheitert jedoch schmählich. Interessanterweise enthält das Werk auch Platons Erkenntnispsychologie (das sog. Höhlengleichnis) und endet mit praktischer Metaphysik, nämlich der Jenseitsvision des Er, einem (schein)tot gewesenen und wieder zum Leben gekommenen einfachen Soldaten, der von der Zwischenwelt, dem Himmel und der Hölle berichtet und die Schicksale ihrer Bewohner in einem Kreislauf der Wiedergeburten beschreibt, wo die Bösewichter, inbesondere die Tyrannen, sehr anschaulich auf Nimmerwiedersehen in den Tartaros gestürzt werden. Platon verdanken auch wir den Bericht über Atlantis (s.o.).

Gnosis, „Erkenntnis“, 2. Jahrhundert v.0, möglicherweise älter, spirituelle und zunehmend sozialrevolutionäre Bewegung mit dem Ziel der Vervollkommnung nicht nur des Individuums, sondern auch der Gesellschaft, Ursprungsland unbekannt, breitet sich an verschiedenen Orten im östlichen Mittelmeeerraum und im vorderen Orient gleichzeitig aus, möglicherweise von Ägypten her, deutlicher Einfluß des iranischen Zarathustra (Licht-Finsternis-Symbolik) und der griechischen Stoiker, vielleicht auch Einfluß aus Indien (verblüffende Parallelen zu den Upanischaden, welche ja ihrerseits der Nährboden für den Budddhismus waren!). Die gnostische Bewegung hatte zu verschiedenen Zeiten, zum Teil bis heute, in Europa, im Vorderen Orient und in Asien eine erhebliche Bedeutung (Manichäer, Mandäer, Paulikaner, Bogumilen, Katharer, Albigenser usw.), sie prägte im Islam besonders die Ismaeliten. Die ägyptischen alchemistischen Schriften des Hermes Trismegistos enthalten frühe gnostische Texte, aus diesen eignet sich als Einstieg in die Quellen der Poimandres, oder auch das sog. Perlenlied aus den Thomas-Akten. Die gnostische Mythologie ist die einzige Mythologie der Welt, in der der Krieg im Himmel beendet ist - gesiegt hat das Böse. (Aber es gibt eine Hoffnung...)

Essener, Palästina, etwa 2. Jahrhundert v.0 bis 68 n.0, evtl. etwas älter, jüdisch-gnostische Sekte mit Gemeinschaftseigentum, ihr Zentrum war wahrscheinlich die klosterartige Kommune am Toten Meer (Qumran), wo 1947 biblische und außerbiblische Schriften ausgegraben wurden, die die Fachwelt in Unruhe versetzten. Manche Essener lebten aber auch in den Städten als normale Bürger, hatten ihren Beruf, waren verheiratet, hatten Kinder etc. Ihre Heilserwartung war nicht nur auf das Jenseits beschränkt, sie standen in radikaler Opposition zur römischen Besatzungsmacht und erwarteten offenbar eine Messiasgestalt in naher Zukunft. Sie unterhielten engste Beziehungen zum radikal-politischen jüdischen Widerstand (Zeloten, Sikarier etc.) und sind letztlich gar nicht von diesem zu trennen, sondern als eine spirituelle Sektion desselben anzusehen.

Jesus, nicht nur Prophet, sondern Revolutionär mit eindeutiger politischer Intention (nämlich der Befreiung Palästinas von den Römern und der Entmachtung der mit ihnen kollaborierenden Pharisäer), verkündet das „Reich Gottes“ im sog. Vaterunser: „...dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden(!)...“ Jesus ging aus der gnostischen Bewegung hervor (wurde vom Gnostiker Johannes eingeweiht und wahrscheinlich von den Essenern ausgebildet), gilt auch unter kritischen Geistern als Ur-Kommunist, erlitt das perfide Schicksal einer posthumen Verkehrung in sein Gegenteil, nämlich eines harmlosen „Schafes“, dem Idealuntertanen der römisch-papistischen Terrorherrschaft, den man nach Belieben scheren und abschlachten konnte. Möglicherweise hat es den Jesus, den wir zu kennen glauben, aber auch gar nicht gegeben, sondern die neutestamentliche Figur ist eine mythifizierte Fokussierung, eine Verschmelzung verschiedener ähnlicher Personen zu einem einzigen Superhelden, der die damals weit verbreitete Erwartung eines Messias erfüllte.

Die Wüstenväter, vorderer Orient, drittes Jahrhundert, verwirklichen ihr Ideal eines ungestörten spirituellen Lebens in den ersten christlichen Mönchsgemeinschaften weit ab von der Zivilisation und den Begehrlichkeiten der Herrscher und sonstiger Störenfriede und Räuber.

Augustinus, Nordafrika, römisch-katholischer Patriarch, ehemaliger Manichäer und Neuplatoniker, schreibt um 400 sein Opus „De Civitate Dei“ (Über den Gottesstaat), in dem er die Weltgeschichte als einen Kampf zwischen einem Reich der Welt und einem Reich Gottes beschreibt (welch letzteres explizit nicht identisch mit der römischen Kirche ist!). Einerseits lehrt Augustinus die Selbstgewißheit des menschlichen Bewußtseins und die Erkenntniskraft der Liebe, andererseits die Prädestination (Vorbestimmung).

Benedikt von Nursia, Italien, erfindet um etwa 530 das klassische christliche Mönchtum als eine ideale, gottgefällige Spezialgesellschaft unter römisch-katholischer Kontrolle, was natürlich ein Widerspruch in sich selbst ist und zwangsläufig zu noch größerer interner und externer Repression führte. Die Mönchsorden, vor allem die Dominikaner, wurden so zur psychotischen Brutstätte der Inquisition und der Ketzer- und Hexenverfolger.

Mohammed, Arabien, siebtes Jahrhundert, stiftet mit dem Islam eine weitere ausdrücklich politische Religion, in der die Armen und Machtlosen einen besonderen Schutz genießen, wurde ebenfalls posthum komplett pervertiert (besonders die Rolle der Frau in der Gesellschaft).

Shambala, Tibet, etwa 10. Jh., möglicherweise schon vorbuddhistisch und erheblich älter, mythisches paradiesisches Land und Heimat eines Volkes ausnahmslos erleuchteter Menschen mit einer perfekten Gesellschaftsform. Nur der reine Mensch vermag nach Shambala zu gelangen, der unreine ist allein schon aufgrund seiner mangelhaften Geistesverfassung gar nicht in der Lage, zu bemerken, wenn er das Land betritt (bemerkenswerte Parallele zum Gralsschloß!). Die Nazis glaubten fest an Shambala und organisierten mehrere, natürlich vergebliche Forschungsexpeditionen nach Tibet. Shambala wird heute von den allermeisten Buddhisten als Metapher für einen geläuterten geistigen Zustand verstanden, von manchen Okkult-Historikern wird es mit Agarthi, der geheimen Weltzentrale, gleichgesetzt, was aber schwerstens zu bezweifeln ist.

Albigenser (Katharer), Südwesteuropa, insbesondere Okzitanien, etwa 1000 bis 1210, siehe vorher auf der Seite "Gnosis".

Kreuzzüge (mit dem Ziel einer „christlichen Republik“), inclusive Krieg gegen die byzantinischen Glaubensbrüder, Albingenser/Katharer-Kreuzzug und Kinderkreuzzüge und anderer Ungeheuerlichkeiten, Europa, Kleinasien, vorderer Orient, 1096 bis - tja, bis wann eigentlich? Jerusalem wurde 1244 von den Türken erobert und war damit für Rom endgültig verloren, natürlich marodierten papistische Heere noch längere Zeit in Arabien herum, wenn auch ohne irgendeinen Erfolg, von privaten Räubereien abgesehen, der letzte Aufruf eines Papstes zu einem Kreuzzug ertönte 1458, verhallte aber ungehört. Die manische „Befreiung“ Jerusalems von den Moslems , dessen Einwohner - auch die Christen! - nie um Befreiung gebeten hatten, demonstriert in aller Deutlichkeit den Machtwahnsinn der Päpste. Und die Borniertheit ihrer verbündeten Tyrannen, denn als die Kreuzfahrer die Stadt kampflos hätten haben können, lehnten die Krieger des rechten Glauben beleidigt ab, bis die Türken dem Spuk ein Ende bereiteten. Aber die Kreuzzüge waren nicht nur eine religiöse Verirrung, sondern für viele Plünderer und Raubmörder gingen tatsächlich ihre Wunschträume, mit denen sie aufgebrochen sind, in Erfüllung. Schätzungsweise 2 Mio. Menschen starben durch eine fixe Idee, spätestens damals verlor das Kirchenchristentum seine Glaubwürdigkeit endgültig.
Die Kreuzzüge bildeten jedoch nur den Auftakt zu einer der größten Katastrophen, die Europa je heimgesucht haben, die Ketzer- und Hexenverfolgungen.

Assasinen, 1090 bis 1256, radikale politische ismaelitische Sekte, leben ihr religiöses Gesellschaftsideal auf ihrer uneinnehmbaren Bergfestung Alamut im nördlichen Iran, berühmt-berüchtigte Tyrannenmörder, deren Arm bis nach Europa und weit nach Asien hinein reicht, Schrecken der Mongolen und der Kreuzfahrer (mit Ausnahme der Tempelritter, die enge Kontakte zu ihnen gehabt haben sollen). Ihr Chef Hassan Ibn Sabbah, genannt der Alte vom Berg, hat seinen Killern angeblich mittels eines Haschischrausches Visionen des Paradieses mit vielen willigen Jungfrauen und anderen Genüssen vorgegaukelt und ihnen diese Belohnung für die erfolgreiche Erfüllung ihrer Aufträge in Aussicht gestellt. Das Gerücht einer aggressiven Konditionierung durch Haschisch ist natürlich völlig schwachsinnig, da, wie allgemein bekannt sein dürfte, Haschisch die Pazifistendroge schlechthin ist. Die Assasinen aber waren allseits ob ihrer skrupellosen Brutalität gefürchtet. Es ist völlig unklar, ob sie Überzeugungtäter mit dem Bewußtsein einer höherer Sendung waren oder unfreiwillig unter Hypnose handelten. Das Geheimnis ihrer Konditionierung ist bis heute nicht gelüftet worden. Die Assasinen hielten fast 200 Jahre lang die Welt in Atem, bis sie verraten wurden und ihre uneinnehmbare Bergfestung von den Mongolen erobert und geschliffen wurde. Es gab keine Überlebenden. Sämtliche Zeugnisse wurden vernichtet. Das Gerücht vom Haschisch als terroristische Droge hält sich hartnäckig bis heute.

Orden der Tempelritter, Europa und vorderer Orient, 1119 gründet Hugo von Payens den Orden der Kriegermönche mit Armuts- und Keuschheitgelübte, um die Pilgerfahrten nach Jerusalen zu schützen. Ursprünglich waren es nur eine handvoll Idealisten ohne jegliche materiellen Mittel, bekamen jedoch nach und nach immer mehr Schenkungen und Mitglieder. Viele von ihnen sprachen arabisch und kannten den Koran. Sie waren geschickte Diplomaten und gründeten die erste Weltbank. Schließlich hatten sie dermaßen an Macht und Reichtum gewonnen, sich gleichzeitig aber immer mehr der Kontrolle der Kirche entzogen, daß sie gleichermaßen das Interesse des bankrotten französichen Königs wie das Mißtrauen der Kirche erweckt hatten. So erklärte man sie 1312 kurzerhand zu Ketzern, verhaftete hunderte von ihnen, darunter auch ihren Großmeister Jaques de Molay, stellte sie vor die Inquisition, vernichtete sie kurzerhand und eignete sie ihre Reichtümer an. Der Vorwurf der Ketzerei, genauer: der Teufelsanbetung, brachte die damalige Öffentlichkeit in Aufruhr, denn die Tempelritter waren bis dato unbescholten und genossen bei allen Ständen hohes Ansehen. Sie galten als vorbildliche Christen. Tatsächlich aber hatten unter den Tempelrittern katharerische und orientalisch-gnostische Lehren Fuß gefaßt, so daß der Ketzereivorwurf nicht unbegründet war. Leider läßt sich ihre Spiritualität nicht mehr rekonstruieren, da auch hier nicht nur alle Feinde, sondern auch alle wesentlichen Zeugnisse von den Papisten restlos vernichtet wurden, ganz abgesehen davon, daß es ein "Geheimnis" der Templer gab, das nie gelöst werden konnte. Einige Indizien sprechen dafür, daß sie durch ihre guten Beziehungen zu den Ismaeliten und vor allem den Assasinen einen christlich-islamischen Synkretismus entwickelt hatten. Außerdem kursiert bis heute das Gerücht, sie hätten die Bundeslade wiedergefunden, welche den direkten Kontakt mit Gott ermöglicht und daher der Schlüssel sowohl zur spirituellen als auch zur weltlichen Macht ist. Wenn dem so wäre, ist logischerweise einzuwenden, hätten sie sich wohl nicht so leicht besiegen lassen. Die Tempelritter sind gleichzeitig Synonym für ein gutes (wahrhaft christliches) Ritter- und Mönchtum sowie für unheimliche weltliche wie spirituelle Praktiken.

Parzival-Epos, Frankreich, auch Deutschland, um 1200, Ausdruck einer tiefen Sehnsucht nach einem guten Herrscher, einem wahrhaft christlichen Priesterkönig, definitiv nach dem Vorbild der Katharer. Das Parzival-Epos ist der radikalen Vernichtungswut der Papisten entgangen, weil es so beliebt war und sich so schnell verbreitet hatte (es entstanden innerhalb kürzester Zeit zwei verschiedene Versionen in -zig Handschriften und Handschriftenfragmenten), daß es nicht mehr gestoppt werden konnte. Wolfram von Eschenbach nennt als seine Quelle einen mysteriösen Herrn Kyot, dessen Identität sich bis heute nicht feststellen ließ, während Chretien de Troyes keine Quelle nennt. Es ist sicher, daß keiner der beiden das Werk des anderen kannte. Es muß also eine beiden zugrunde liegende Ur-Version gegeben haben, welche leider aber den Papisten gerade noch in die Hände gefallen sein dürfte.

John Wyclyf, England, im 14. Jahrhundert lehnt der Oxforder Professor das Papsttum ab, übersetzt die Bibel und läßt sie durch Laienprediger verbreiten, fordert die Armut für den Klerus, lehnt Ablaßhandel und Zölibat ab und erklärt die herrschende Kirche zum Antichrist und die Kirchengüter zum Nationaleigentum. Er fand dabei natürlich die Unterstützung durch den Adel, bis der Bauernaufstand von 1381 und das Bekanntwerden seiner ketzerischen Abendmahllehre ihn die Popularität kosteten und zum Rückzug in seine Pfarrei Luttherworth zwangen.

Jan Hus, Tschechien, 14. Jahrhundert, der Prager Professor und nationalpolitische Agitator greift Wyclyfs Ideen auf und löst in Böhmen und Mähren eine Revolution aus. Man lud ihn zu Verhandlungen nach Konstanz ein, wo man ihn gefangen nahm und als Ketzer verbrannte. Dasselbe widerfuhr seinem Kampfgenossen Hieronymus von Prag. Doch jetzt geht's erst richtig los mit der Revolution, und die Hussiten werden zu gefürchteten Feinden der Päpste und der Deutschen. Rasant breitet sich ihr Reich aus, von der Lausitz bis nach Ungarn und von der Oberpfalz bis nach Schlesien. Immer wieder unternehmen sie erfolgreiche Raubzüge jenseits der Grenzen. Im Verlauf der Hussitenkriege (1419-1436), die alle Nachbarländer verwüsten, werden fünf Angriffe von Reichs- und Kreuzzugsheeren abgewehrt. Schließlich begannen die Flügel der Bewegung, die gemäßigten Utraquisten (Bürgertum und Adel) und die radikalen Taboriten (Bauern, Kleinbürger und niederer Klerus), sich untereinander zu bekämpfen, was letztlich zum Untergang der ganzen Bewegung führte. Die Revolution der Hussiten ist die von allen Seiten totgeschwiegene Reformation vor der Reformation, schon 100 Jahre vor Luther gab es viele Jahrzehnte lang mitten in Europa eine papstfreie Zone weit über Tschechien hinaus. Die Hussiten wurden trotz dauernder Angriffskriege der Papisten von keinem äußeren Feind besiegt, sondern gingen an innerer Zwietracht zugrunde. Der Friede von Kuttenberg 1485 war noch nicht einmal ein fauler Kompromiß. Den einzigen Nutzen des ganzen Abschlachtens hatte letztendlich der tschechische Hochadel, der sich an den Kirchengütern bereicherte.

Cibango, Spätmittelalter, wahrscheinlich schon viel früher, das goldene Land jenseits der Weltmeere, Seefahrermythos mit, wie sich bald herausstellen sollte, wahrem Kern. (Selbstverständlich wußten manche Seefahrer von Amerika, es existierten auch schon lange vor Columbus Seekarten, auf denen die Küsten von Amerika relativ genau eingezeichnet waren.)

"Die Neue Welt", Amerika, das Paradies der Räuber, Plünderer und Mörder, später auch der Loser und Spinner. 1492 fällt mit der Landung des Columbus in der Karibik der Startschuß für den größten Völkermord der Menschheitsgeschichte mit schätzungsweise 200 Mio. dahingeschlachteten sog. Wilden bis heute (die Opfer unter den Negersklaven nicht mitgerechnet), hunderte von "Indianer"völkern wurden von den eingefallenen Europäern ausgelöscht. Schon früh hatten die amerikanischen Ureinwohner gemerkt, was gespielt wurde, und erfanden den Mythos von El Dorado, dem Goldenen Mann, aus dem bald ein ganzes Land voller Gold wurde, welches etwas weiter entfernt lag und zu dem man die Conquistadores weiterempfahl, in der Hoffnung, den Besuch schnell wieder los zu werden. El Dorado wurde von den goldgierigen Europäern viele Generationen lang mit manischer Besessenheit gesucht, aber nie gefunden.

Reformation, Mitteleuropa ab etwa 1500, Luther, Calvin und Konsorten, die halbherzige Austreibung des Teufels mit dem Beelzebub führt zu jahrhundertelangen „Religions“kriegen und geht natürlich auch sonst nach hinten los (bei der Hexenverfolgung zum Beispiel standen die Protestanten den Katholiken in nichts nach), bestenfalls langfristiger gradueller Fortschritt im Schatten der Aufklärung (um den Preis einer völligen De-Spiritualisierung des Protestantismus), erstes Fußfassen des Bürgertums in der Chef-Etage. Damit beginnt sich immerhin der Wunschtraum von Fugger & Co. langsam zu erfüllen. Die erfolgversprechenden aber niedergeschlagenen Ansätze innerhalb der Reformation, wie der von Thomas Müntzer, werden entweder totgeschwiegen oder entstellt überliefert (sog. "Bilderstürmer", "Schwarmgeister" etc.).

Thomas Morus: Utopia, 1517 wird der Klassiker der neuzeitlichen Staatsutopien gedruckt und verleiht einem ganzen Genre seinen Namen, "Utopia" ist übrigens griechisch und heißt: nirgendwo.



FORTSETZUNG FOLGT







ALLERLETZTE THESE ZU FEUERBACH

Karl Marx wollte nur die Welt verändern, nicht aber sich selbst.







Chaos und Ordnung


Die höchste Form der Ordnung ist das Chaos, nämlich wenn alle Teile gleich sind.
Alle anderen Formen der Ordnung sind bloß Spielarten der Unordnung.










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